07.12.2017 | Olaf Thiel

Jung, wild, innovativ – Start ups in der Logistik verändern die Branche

Start ups in der Logistik versetzen die Branche in eine Art Umbruchstimmung. Immer mehr neue Unternehmen drängen mit innovativen Geschäftsmodellen und intelligenten Plattformen auf den Markt.

Bis 2040, so heißt es in der Shell-Nutzfahrzeugstudie von 2016, wird das Güterverkehrsaufkommen um rund 40 Prozent steigen. Zudem wird der Nutzfahrzeugbestand von heute drei auf dann 3,5 Millionen Fahrzeuge anwachsen. Gleichzeitig werden Staus zunehmen. Die Staubilanz des ADAC zählte im vergangenen Jahr rund 694.000 Staus mit über 1,3 Millionen Kilometer Länge. So werden politisch und branchenweit Lösungen gesucht, die das Straßennetz dauerhaft und nachhaltig entlasten. Der Ausbau bietet aus wirtschaftlichen wie ökologischen Gründen nur begrenzt Optionen. Auch die Lang-Lkw werden die Entwicklungen nicht erheblich lindern können.

Dagegen soll die viel beschworene Digitalisierung für mehr Abhilfe schaffen, indem sie Flotten effizienter macht und insbesondere die Auslastung der Lkw verbessert. Denn Leerfahrten sind ein gewaltiges Problem der Branche und tragen zum hohen Lkw-Aufkommen bei: Im Schnitt ist jeder dritte Lastkraftwagen auf deutschen Straßen nach Angaben des Kraftfahrt-Bundesamtes ohne Fracht unterwegs. Hochgerechnet aufs Jahr werden damit über 150 Millionen Fahrten ohne Ladung durchgeführt. Das hat einfache Gründe: Viele Frachtführer transportieren ihre Ware von A nach B, fahren dann entweder ohne neue Ladung direkt zurück oder weiter zu Punkt C, von wo der Lkw dann – im schlechtesten Fall – lediglich teils beladen zurück zum Ausgangspunkt steuert. Bislang hatte auch niemand einen Überblick darüber, wo sämtliche Frachten auf ihren Transport warten und wo Lkw stehen, die sie aufnehmen könnten – bislang.

Boom der Start ups in der Logistik

Das Start-up Cargonexx hat das Problem erkannt und eine digitale Frachtbörse auf Basis Künstlicher Intelligenz (KI) ins Leben gerufen. Das Kerngeschäft der Hamburger liegt in der Vermittlung zwischen Spediteuren und Frachtführern. Dies erfolgt jedoch komplett digital. Das 2016 gestartete Jungunternehmen bezeichnet sich entsprechend als Online-Spediteur. Klassische Spediteure geben ihre Touren online im Portal ein. Herzstück des Netzwerkes von Cargonexx ist ein selbstlernender Algorithmus. In Millisekunden analysiert dieser Hunderttausende Daten und findet dann den jeweils geeignetsten Frachtführer heraus. Dieser prüft den erhaltenen Auftrag und kann ihn dann per Klick annehmen. Zugleich werden die Preise für einzelne Touren und Ladungen vorhergesagt. Wird eine Einigung zwischen beiden Parteien erzielt, schlüpft Cargonexx in die Rolle eines haftenden Spediteurs. Nach Abschluss der Tour erhält der Auftraggeber die Frachtpapiere und seine Rechnung von dem Start-up. Digital versteht sich.

Dem Geschäftsmodell des Online-Spediteurs folgen bereits eine ganze Reihe von Jungunternehmen wie Instafreight, Frachtraum oder Loadfox. Gestandene Frachtbörsen wie TimoCom oder Trans.eu dagegen sind „nur“ ein Online-Marktplatz, wo Ladungen angeboten werden und beide Seiten des Transportes dann in Kontakt treten. Die Plattformen übernehmen keine weitere Rolle im Sendeverlauf. Doch gerade da differenzieren sich digitale Speditionen, die darüber hinaus mit kostenlosen Zugängen für Frachtführer und Spediteur locken.

Mehrwerte für Speditionen und Fahrer im Fokus

Die Ideen der jungen Avantgarde im Logistiksektor sind vielfältig. Das Start-up Synfioo aus Potsdam hat eine Plattform vorgestellt, mit Hilfe derer Transportunternehmen besser prognostizieren können, wann die Ware tatsächlich ankommt. Daten wie Wetter, Verkehr oder Wartezeiten an Grenzübergängen werden hierbei berücksichtigt. Die Softwarte rechnet Störungen – wie jüngst nach Sturm „Xavier“ – mit ein. Auf diese Wiese kann sie in Echtzeit eine Statusmeldung geben, ob sich ein Container verspätet oder droht, den Anschluss zu verpassen – ob per Lkw, Schiene oder Schiff. Auch digitale Services für den Fahrer stehen zunehmend im Mittelpunkt.

Das Start-up Truckin aus Berlin, vom Anhänger-Hersteller Schmitz Cargobull finanziert, bietet Brummifahrern via App nützliche mobile Services wie Parkplatz-Infos, Routenplanung und Stellenanzeigen. Das Hamburger Start-up JobMatchMe steckt hinter der Plattform truck-jobs.de, die sich an suchende Fahrer wendet, während sich truck-pro.eu an suchende Unternehmen richtet. Bei der Registrierung können Trucker Angaben zur gewünschten Arbeitszeit, zur Kabinenausstattung und zu ihren Gehaltsvorstellungen machen. Daraus resultiert ein detailliertes Profil des Bewerbers. Ein Algorithmus sorgt für das passende Matching. Das Angebot geht damit weit über das normaler Jobportale hinaus.

Die Branche im Umbruch

Cargonexx & Co. sind ein starkes Symptom für den Wandel der Branche. Noch bis vor kurzem stand mit Anbietern wie Uber, Car2Go, BlaBlaCar oder Flixbus die Personenmobilität im Fokus der Investoren. Nun gibt es einen Schwenk. In den USA revolutionieren gerade Start-ups wie Uber Freight, Flexport oder Freighthub den Sektor. Dabei werden die Geschäftsprozesse durchgehend digitalisiert und auf Basis intelligenter Big-Data-Ansätze Angebote geschaffen, die Prozesse beschleunigen und transparenter gestalten. Was den Neuankömmlingen zugute kommt: Viele etablierte Branchenvertreter tun sich schwer mit der Digitalisierung Schritt zu halten. Mehr als zwei Dritteln der Spediteure in Nordrhein-Westfalen beispielsweise fehlt es vor allem an Zeit und Sachkompetenz, um IT, Prozesse und Vertrieb für die Zukunft fit zu machen. Dies ergab eine gemeinsame Befragung der Kölner Agentur Herzig Marketing Kommunikation und des Verbands Verkehrswirtschaft und Logistik Nordrhein-Westfalen (VVWL).

So bieten sich für Start-ups Gelegenheiten, neue Geschäftsmodelle und innovative Plattformen in rasender Geschwindigkeit auf dem Markt zu lancieren. Doch letztendlich sind beide Seiten aufeinander angewiesen. Nach Ansicht des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und Neue Medien (Bitkom) ist es daher entscheidend, den Austausch zwischen etablierten Unternehmen und Global Playern in der Logistik mit den Newcomern zu forcieren. Längst halten große Speditionen wie DHL oder DB Schenker Ausschau nach geeigneten Partnerschaften oder gründen mit Saloodo gleich eigene Start-ups. Viel Zeit bleibt ihnen nicht mehr.

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