Grafik: Letzte Meile; Lieferung an die Haustür in der Stadt
17.12.2020 | Olaf Thiel

Was sind die Innovationen für die letzte Meile?

Kaum eine Branche hat in diesem Jahr einen solchen Boom erlebt wie der Onlinehandel. Davon profitiert auch die Logistik. Zugleich steigen die Herausforderungen für die letzte Meile in den Städten. Neue Zustellformen sollen für Entlastung sorgen.

Weihnachtszeit und dann ein weiterer Lockdown: Gewinner der Situation ist der E-Commerce. Laut aktuellen Zahlen des Bundesverbandes E-Commerce und Versandhandel Deutschland (BEVH) erhöhte sich der Umsatz im Vergleich zu 2019 um über zwölf Prozent in diesem Jahr.

Onlinehandel und Paketflut steigen kontinuierlich

Doch die immensen Verschiebungen der Einkaufsgewohnheiten in Richtung Online sind nicht erst durch die Pandemie zu beobachten. Der Boom verstetigt sich seit Jahren. Allein 2019 wurden deutschlandweit rund 3,65 Milliarden Kurier- und Paketsendungen ausgeliefert, das sind zwölf Millionen Sendungen pro Zustelltag. Und die Tendenz ist steigend. Um rund vier Prozent im Jahr soll die Paketflut zunehmen. Und für „König Kunde“ wird die Zustellung immer bequemer: Ob zu Hause, im Büro, beim Nachbarn, in einer Packstation oder im Paketshop, in einem festen Zeitfenster oder per Änderung in Echtzeit – noch nie war die Anlieferung so flexibel wie heute.

Und es kommen ständig neue Formen dazu: Mit We Deliver von Volkswagen können Autofahrer die mobile Zustellung ins Fahrzeug wählen. Der autorisierte Paketbote oder Dienstleister kann über eine App mit entsprechendem Code den Kofferraum öffnen und wieder schließen. Die Deutsche Post bietet Mehrparteienhäusern geräumige Paketkästen, um die Zustellproblematik bei Abwesenheit des Adressaten zu umgehen. Das bayerische Start-up Paketsafe vermarktet einen Paketsack, der neben der Haustür angebracht ist. Das eingebaute Edelstahlnetz und das selbstsichernde Schloss sollen den Inhalt vor Gelegenheitsdieben schützen. Und Hermes will Nachbarn mit 30 Cent pro Paketannahme entlohnen und damit als offizielle Alternativadressen gewinnen.

Alternativen für den innerstädtischen Raum

Gefragt sind aber nicht nur innovative Lösungen für die Haustür. Stadtplaner, Verkehrsforscher, Fahrzeughersteller und Kurierdienste müssen gemeinsam Alternativen für den innerstädtischen Warentransport entwickeln. Darunter zählen beispielsweise City Hubs. Diese Konzepte basieren auf dem Prinzip von Warenhäusern, die in unmittelbarer Nähe der Empfänger sind. Zum Beispiel können Flächen in Parkhäusern oder Haltestellen des Nahverkehrs als Standorte für solche Mikrodepots dienen, die ausschließlich nachts angefahren werden. Boten verteilten dann am Tage von dort aus die Pakete zu Fuß, per Sackkarre oder mit Lastenfahrrädern.

Fahrradkurier liefert mit Lastenfahrrad Pakte aus

In Großstädten gehören Lastenfahrräder inzwischen zum Stadtbild. Foto: pikselstock

Im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg testeten ein Jahr lang einige der großen Paketdienstleister wie Hermes, DHL und DPD die Auslieferung per Lastenfahrrad. Täglich waren bis zu elf solcher Cargo-Räder im Einsatz. 38.000 Kilometer wurden beim Projekt KoMoDo (Kooperative Nutzung von Mikro-Depots durch die Kurier-, Express-, Paket-Branche für den nachhaltigen Einsatz von Lasträdern in Berlin) per Pedale zurückgelegt und 160.000 Pakete ausgeliefert. Mitte 2019 zogen die teilnehmenden Unternehmen Bilanz: Vor allem Stadtteile mit einer hohen Empfängerdichte und geeigneten Sendungsstrukturen (Paketanzahl, Volumen und Gewicht) seien für den Ansatz prädestiniert. Derzeit ist ein Nachfolgeprojekt in Planung.

Straßenbahn übernimmt die letzte Meile

Aber warum nicht bereits vorhandene Verkehrsrouten und Fahrzeuge für die Auslieferung nutzen und auslasten? Derzeit gibt es einige Projekte, die die Belieferung mit der Tram oder Straßenbahn erproben. Vorbilder gibt es dazu schon einige. In Berlin wurden bis 1935 Postpakete mit der Straßenbahn befördert. Straßenbahnen in Hannover, Stuttgart, Wuppertal und Dresden übernahmen den Transport von Kohle, Lebensmitteln oder anderen Gütern bis in die 1960er-Jahre. In Dresden fährt heute wieder die „CarGoTram“, die von Volkswagen finanziert wird, und die Produktionsstätte „Gläserne Manufaktur“ mit Bauteilen für die Montage des e-Golfs beliefert.

Auch die Verkehrsgesellschaft Frankfurt setzte in einem Pilotprojekt auf eine Logistiktram mit Hermes als Partner des Straßenbahn-Projektes. Dafür wurde eigens eine Transportbox entwickelt, die gleichzeitig als Fahrradanhänger diente. In der Innenstadt übernahmen Fahrradkuriere die Anhänger und lieferten die Pakete aus. Ein Folgeprojekt soll den Einsatz von U-Bahnen untersuchen.

Fahrerlose Fahrzeuge mutieren zum Allrounder

Studien haben gezeigt, dass der typische Pkw im Schnitt weniger als eine Stunde am Tag bewegt wird. Mit Ausnahme längerer Reisen stehen diese Fahrzeuge also 23 Stunden am Tag still oder werden gar nicht benutzt. Bei einem autonomen Shuttle stellt sich die Situation künftig umgekehrt dar: Die Rentabilität hängt davon ab, dass ein People Mover möglichst viel fährt. Und so könnte vor und nach der Rush Hour die Funktion eine andere sein: der Kleinbus mutiert stundenweise oder in der Nacht zum Cargo Mover. Das visionäre Konzept Vision URBANETIC basiert auf einem Chassis, das je nach Einsatzzweck mit unterschiedlichen Aufbauten ausgestattet ist. Als Ride-Sharing-Fahrzeug bietet das Gefährt Platz für bis zu zwölf Personen. Mit dem Cargo-Modul mutiert das elektrisch betriebene Fahrzeug zum Gütertransporter für bis zu zehn Paletten.

Ein fahrerloses Mobil fährt auf eine Straße

Der CUbE von Continental wird am Frankfurter Standort getestet. Foto: Continental

Geht es nach Continental, fährt der People Mover CUbE in ein Stadtviertel, um dort kleine agile Lieferroboter auszusetzen und später wieder einzusammeln, bevor es wieder zurück zum Depot geht. Entwickler versprechen sich mithilfe des Roboters eine Zustellquote von 100 Prozent. Denn zurzeit fährt der Paketzusteller oft noch auf gut Glück zum Empfänger. Bei Robotern ist das umgekehrt: Sie stehen auf Abruf für den Kunden bereit, der sie jederzeit steuern kann.

Lieferroboter erobern die letzte Meile

Continentals Roboterlösung für die letzte Meile heißt Corriere LM und ist auf vier Rädern unterwegs. Der elektrisch betriebene Lieferroboter erinnert mit seiner Antenne und kompakten Form an einen Bollerwagen. Das Innenleben hat es in sich: GPS und ein Heer an modernster Sensorik wie Lidar, Ultraschall und hochauflösende Kameras an Front, Heck, Seiten und Unterboden navigieren den Roboter. Unter seiner Ladeklappe kann er maximal 15 Kilogramm Gesamtgewicht transportieren. Das Elektro-Gefährt bringt es auf maximal 8 km/h, das entspricht einem flotten Schritttempo und ist für Gehwege in Städten gedacht. Damit ist der agile Lieferroboter vor allem für Zustellungen auf kurzer Strecke in einem Umkreis von rund fünf Kilometern prädestiniert. Während der Corriere auf Tour ist, kann der Empfänger über eine App jederzeit sehen, wo sich der Lieferroboter mit der Bestellung gerade befindet. Am Ziel angelangt, öffnet er einfach per App die Ladeluke und entnimmt die Ware. 2020 starteten erste Liefertests in Singapur.

Eine Alternative zu den Miniaturtransportern sind Roboter, die Treppen und Aufzüge überwinden können. Die einem Hund ähnelnden Vierbeiner „Anymals“ wurden vom Schweizer Unternehmen Anybotics, einer Ausgründung der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, entwickelt. Ford und Agility Robotics erproben derzeit in den USA den Einsatz von Digit. Dabei handelt es sich um einen zweibeinigen Roboter, der ähnlich wie ein Mensch geht. Er kann Pakete mit einem Gewicht von bis zu 20 Kilogramm heben, Treppen steigen und sich auf natürliche Weise bewegen, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Ob entweder das Sushi vom Restaurant ins Büro, die Medikamente von der Apotheke nach Hause oder die Pakete zum Besteller – den Einsatzgebieten sind keine Grenzen gesetzt.

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