Der autonome Lkw auf dem Umschlagplatz in Ulm beim Verladen eines Containers im Rahmen des Projektes ANITA
17.05.2022 | Olaf Thiel

Wie autonome Lkw den Umschlagplatz revolutionieren

Autonome Lkw sollen den Kombinierten Verkehr schneller und flexibler machen. Dafür leistet das Technologieprojekt ANITA in Ulm Pionierarbeit.

Der Kombinierte Verkehr – die Verknüpfung von Straße und Schiene bzw. Wasser – gehört zu einem der stärksten Wachstumsmärkte im europäischen Güterverkehr. Schnelligkeit, Effizienz und Flexibilität sind daher gefragt. Vor diesem Hintergrund werden autonome Lkw immer interessanter.

Zum einen ist die Auslastung der Fahrzeuge höher, da sie – soweit technisch möglich und sinnvoll – fast ununterbrochen eingesetzt werden können. Zum anderen sinken die Betriebskosten signifikant durch den Ersatz von Personal auf oder fahrerlose Teilstrecken zwischen Umschlagplätzen. Das bringt schrittweise Entlastung für die Fahrer*innen, die so Zeit für andere Aufgaben finden oder auch gesetzlich vorgeschriebene Ruhepausen einlegen können. Gerade vor dem Hintergrund des Fahrermangels ein wichtiger Aspekt. Denn die Digitalisierung von Prozessen kann dabei helfen, dass sich Fahrer*innen auf das Wesentliche konzentrieren können und macht den Beruf wieder attraktiver.

Autonome Lkw „Made in Germany“

Dass autonome Transporte bald keine Zukunftsmusik mehr sind, beweist ein innovatives Projekt im Ulmer Depot der Deutschen Bahn. Täglich werden hier hunderte Transportcontainer hin und her bewegt. Von hier aus geht es dann zum knapp einen Kilometer entfernten Terminal der Deutschen Umschlaggesellschaft Schiene-Straße. Dort wird der Container per Kran auf die Schiene gehoben. Lieferverkehre im Depot und am Terminal stoßen jedoch zunehmend an ihre Kapazitätsgrenzen. Abhilfe soll ANITA schaffen. ANITA steht für „Autonome Innovation im Terminal Ablauf“ und zielt auf einen digitalisierten Container-Umschlagprozess mit autonom fahrenden Lkw. Beteiligt an der Erprobung sind die Deutsche Bahn, MAN Truck & Bus, die Götting KG und die Hochschule Fresenius. Seit Mitte 2020 kooperiert das Quartett im vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten Pilotprojekt. MAN entwickelt den autonomen Lkw. Im Hamburger Hafen hat der bayerische Hersteller bereits automatisiert fahrende Zugmaschinen erprobt.

„Bei ANITA nehmen wir die nächste Komplexitätsstufe entlang unserer Automatisierungsroadmap in Angriff“, sagt Andreas Zimmermann, Leiter Vorentwicklung Electronics bei MAN Truck & Bus. „Folglich wird hier ein Lkw mit ähnlicher Automatisierungstechnologie wie in Hamburg mit zahlreichen Sensoren und Kameras für ein 360-Grad-Bild zum Einsatz kommen, der aber eine noch höhere Entwicklungsreife aufweist.“

Projektpartner Götting KG arbeitet an den Algorithmen zur Ortung und Hinderniserkennung für das Nutzfahrzeug. Die Deutsche Bahn stellt das Testgelände. Die Hochschule Fresenius konzipiert die digitale Infrastruktur mit ihren Schnittstellen, damit Lkw und Terminal künftig miteinander kommunizieren können. Die Wissenschaftler*innen haben dazu die Abläufe mit Mensch und Maschine am Depot und Terminal beobachtet und Dokumente und Vorschriften analysiert. Außerdem haben sie Interviews mit Lkw- und Kranfahrer*innen, Disponent*innen und Speditionen vor Ort geführt. „Der Kombinierte Verkehr ist ein Schlüssel für die erfolgreiche Verkehrswende. Über die Umschlagterminals erhält der Kunde Zugang zur Schiene, daher ist es wichtig, dass wir ihm hier effiziente und innovative Abläufe anbieten. Container müssen schneller und flexibler umgeschlagen werden. Dafür nutzen wir die Digitalisierung wie im Projekt ANITA: Autonom fahrende Lkw im Terminal sind erste, aber wichtige Schritte in Richtung Terminal 4.0.“, sagt Dr. Sigrid Nikutta, Vorstand Güterverkehr bei der Deutschen Bahn AG.

Ende 2022 starten Testfahrten

Voraussichtlich Ende 2022 soll der Prototyp des autonomen Lkw reibungslos in die logistischen Terminalabläufe integriert werden. Der Lastwagen gibt selbständig Gas. Mit etwa 25 Stundenkilometern bewegt er sich dann zwischen beiden Hubs, also von dort, wo die Container auf Abholung warten bis zum Verladekran an den Gleisen. Ein*e geschulte*r Sicherheitsfahrer*in wird in dieser Phase immer an Bord sein und die Systeme überwachen. Bei Bedarf greift er oder sie ein und übernimmt das Steuer. Damit ist die Sicherheit für alle Beteiligten im laufenden Terminalbetrieb zu jeder Zeit garantiert.

„Sobald der automatisierte Lkw auf der Autobahn ist, gibt es mit der Straßenverkehrsordnung ein klares Regelwerk, was ein Fahrzeug dort tun darf oder nicht. Vergleichsweise schwierig ist es an Umschlagplätzen, an denen es weniger klare Ordnungen gibt und wo sich im Laufe der Zeit Regeln etabliert haben, die nirgendwo explizit festgehalten sind. Auch diese Regeln müssen wir verstehen, um sie später dem Lkw als Algorithmus beizubringen.“, so Prof. Dr. Christian T. Haas, Leiter Institut für komplexe Systemforschung an der Hochschule Fresenius.

Das Konzept soll perspektivisch auf weitere Terminals, Häfen und Industrieanlagen der Deutschen Bahn übertragen werden. ANITA kann vor allem einen Teil dazu beitragen, die Kapazitäten der bestehenden Terminalinfrastruktur zu steigern, den Gesamtablauf zu beschleunigen und Kosten zu reduzieren. Vor allem nachts und am Wochenende, wo Fahrer*innen kaum zur Verfügung stehen, soll in Ulm dank ANITA der Betrieb weiterlaufen. Denn bei autonomen Lkw spielt die Tageszeit keine Rolle.

Quellen:

https://press.mantruckandbus.com/corporate/de/anita-erste-etappe-fuer-digitale-zukunft-im-umschlagterminal-ulm-dornstadt-erreicht-wissenschaftliche-basis-fuer-vollautomatisierten-verkehr-in-der-anlage-liegt-vor/

https://press.mantruckandbus.com/corporate/de/anita-missionsplanung-fuer-terminal-40-steht/

https://www1.deutschebahn.com/ecm2-duss/news_uebersicht/Autonom-im-Terminal-unterwegs-5347444?contentId=714944

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