11.12.2023 | Olaf Thiel

Aug‘ in Aug‘ mit der Karriere

Warum trifft man sich eigentlich auf einer Messe, um über die Karriere zu sprechen, wenn die Jobsuche inzwischen wie Tinder funktioniert? Rechts swipen und Lebenslauf digital schicken und bei Nichtgefallen einfach ghosten. Ist eine Präsenzveranstaltung wie die Firmenkontaktmesse in Berlin nicht einfach aus der Zeit gefallen?

Die Zelte vor der Technischen Universität Berlin trotzen mühsam dem Kälteeinbruch in der Hauptstadt. Während vor der Tür die ersten Schneeflocken des Winters tauen, helfen den Standbetreuern nur warme Gedanken gegen die Kälte. Draußen rutschen, drinnen frösteln. Und dann auch noch die Grippesaison. An einem solchen Tag wünscht man sich doch, man könne aus dem warmen (Home-)Office, dem Café um die Ecke oder der Mensa heraus neue berufliche Kontakte knüpfen, ein Praktikumsplatz finden oder einen Ort für Master- und Bachelorarbeiten.

Geht doch, sagt da der geneigte Leser: Bei einer virtuellen Karrieremesse wie der Jobvector kann man Bewerbungsgespräche führen, Stellenanzeigen lesen, Vorträgen lauschen, an Workshops teilnehmen und sich über Arbeitgeber informieren, während man auf der Couch sitzt. Bequemer geht’s nicht. Gerade die Generation Z, die es gewohnt ist, mit dem Smartphone zu shoppen, sollte eine Präsenzmesse doch zur analogen Welt von gestern zählen.

„Ich hatte heute Uni und wollte nur mal gucken“, sagt ein Student. Andere treffen sich in Gruppen und machen den Messebesuch zum Happening. Die Aussteller der bonding Firmenkontaktmesse Berlin, der größten von Studierenden organisierte Veranstaltung dieser Art in Berlin, geben ihnen Recht.

„Wir mögen den Kontakt“, sagt die Vertreterin eines mittelständischen Ingenieurbüros. Sie bevorzugt den persönlichen Kontakt „Ich komme viel näher an die Bewerber ran und kann schon vor dem Bewerbungsgespräch klären, ob wir der richtige Arbeitgeber sind.“

Über 70 Firmen präsentieren sich auf ca. 1.200 Quadratmetern Fläche auf der Suche nach Talenten frisch von der Uni, darunter bundesweit tätige Unternehmen wie eine große Spedition, aber auch Berliner Firmen. Man kann sich Bewerbungsfotos machen lassen und beim Profil helfen lassen, natürlich digital. Hier läuft niemand mehr mit einem ausgedruckten Lebenslauf über die Messe. Der ist online auf LinkedIn oder XING. Und der Bewerbungsprozess läuft bei einem Großteil der Unternehmen ohnehin automatisiert ab. Mit Papierbewerbungen gibt sich keine Personalabteilung mehr ab. Doch darauf kommt es offensichtlich nicht an. Wer auf eine Messe geht, statt sich per Klick einzuwählen, will seine Hand-Auge-Koordination anders trainieren, gerne auch durch den Griff nach einem der zahlreichen Give-aways.

Man hört förmlich die Besucher*innen sagen: Klar, ich nehme auch gerne Kugelschreiber mit. Aber darauf kommt es mir gar nicht an. Man sieht ja auch, was für Menschen da arbeiten. Das gibt einen besseren Eindruck von der Unternehmenskultur.

Kleine Werbegeschenke sind also nur der Eisbrecher, um ins Gespräch zu kommen. Auf einer digitalen Messe ganz unmöglich.

„Es fällt uns leichter, Student*innen anzusprechen und unser Unternehmen zu erklären, wenn man sich tatsächlich gegenübersteht“, erklärt Antonia Welz, Recruiterin für Werkstudent*innen bei Toll Collect. „Und wenn wir dafür jemandem erst eine Power Bank in die Hand drücken müssen, ist das auch ok.“

Dass der Betreiber des Mautsystems ein echtes Tech-Unternehmen ist, ist längst nicht so bekannt. Dabei finden hier Studierende verschiedener Fachrichtungen die perfekten Bedingungen, um ihre Bachelor- oder Masterarbeit zu schreiben, denn die Mauterfassung in Deutschland funktioniert eben nicht mit einem Pickerl an der Windschutzscheibe oder feste Mautstationen. Dahinter steckt Hightech mit viel IT-Knowhow.

Deutlich wird, dass der Fachkräftemangel die Situation deutlich zugunsten der Bewerber verschoben hat. Wenn man hier für ein Unternehmen wie Toll Collect neue Werkstudent*innen gewinnen will, muss man mehr tun als nur herumstehen. Gamification ist hier das Zauberwort. Ein eigens für die Messe produziertes Computerspiel, bei dem ein LKW möglichst unfallfrei über eine Autobahn gelenkt werden muss, lockt viele Student*innen an den Stand und sorgt auch bei den anderen Ausstellern für interessierte, sogar neidische Blicke.

 

Illustration eines Messestandes
Ein Messestand von Toll Collect auf einer Präsenzmesse - vor dem Ansturm der Interessenten

Allein in Deutschland finden jedes Jahr ungefähr 200 Jobmessen statt, die meisten davon noch in Präsenz. Solange die Arbeit nicht von Robotern oder der KI erledigt wird, spielen menschliche Interaktionen noch eine Rolle. Chatten, Lebenslauf präsentieren, Interesse am Unternehmen zeigen -eine Messe ist ein gutes Training für jeden Bewerber, vor Ort oder virtuell seinen Geselligkeitsmuskel zu trainieren.

Vermutlich werden beide Formate noch einige Zeitlang parallel laufen. Spätestens bei der nächsten Pandemie wird sich das wieder ändern. Und vielleicht eröffnen sich durch VR-Brillen ja wieder ganz neue Möglichkeiten.

Kommentare (0)