Foto mit Autobahn- und Bundesstraßenschildern
09.06.2020 | Olaf Thiel

Der Lkw-Maut-Fahrleistungsindex – Seismograf für die Konjunkturlage

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie für die Weltwirtschaft sind noch endgültig nicht abzusehen. Am Lkw-Maut-Fahrleistungsindex kann man klar ablesen, wie es um die Konjunktur derzeit steht.

Wie beim Domino-Effekt hat die Corona-Pandemie eine Volkswirtschaft nach der anderen in den Krisenmodus getrieben. Weltweite Betriebsschließungen, verwaiste Containerhäfen, abgesagte Leitmessen, ein zum Erliegen gekommener Flugverkehr und Kontaktbeschränkungen oder Ausgangssperren für fast eine Milliarde Menschen haben einen globalen Konsumschock und eine Exportkrise ausgelöst. Experten von Regierungen, Wirtschaftsinstituten und Banken verkünden fast täglich neue Erkenntnisse und Fakten zur Konjunkturlage. Mittlerweile kehrt in vielen Ländern allmählich der Alltag wieder zurück. Der Einzelhandel hat geöffnet. Schlüsselindustrie wie die Automobilbranche nehmen die Produktion wieder auf und der Grenzverkehr wird durchlässiger. Doch wie lange noch wird die Wirtschaft unter den Corona-Folgen leiden? Was vielen nicht bekannt ist: Aus den Statistikdaten der Lkw-Maut lässt sich ableiten, wie es um die deutsche Wirtschaft steht. Öffnen die Geschäfte wieder und fahren die Industriebetriebe ihre Produktion hoch, nimmt auch der Lieferverkehr zu.

Konjunktureller Kompass

Das Statistische Bundesamt und das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) zeichnen mit dem Lkw-Maut-Fahrleistungsindex die Entwicklung des Lkw-Verkehrs auf deutschen Autobahnen nach. Er repräsentiert damit einen großen Teil des gesamten Güterverkehrs im Binnenland. Der Index wird aus anonymisierten Daten des Mautsystems berechnet und berücksichtigt mautpflichtige Lkw mit mindestens vier Achsen. Da Lkw-Fahrten per digitaler Einbuchung erfasst werden, stehen die Zahlwerke nach fünf Tagen online zur Verfügung. Seit der letzten Ausweitung der Maut im Juli 2018 auf alle Bundesstraßen erfasst die Statistik durchschnittlich 75 Prozent aller mautpflichtigen Fahrleistungen.

Aufgrund der hohen Unsicherheit der wirtschaftlichen Entwicklung und dem Informationsbedarf öffentlicher Stellen werden seit Mitte April die Ergebnisse zudem täglich statt monatlich aktualisiert. Im Gegensatz zur herkömmlichen Konjunkturstatistik wie etwa zur Industrieproduktion oder dem Bruttoinlandsprodukt, die mit mehreren Wochen Verzug veröffentlicht sind, ist der Index damit ein zeitnaher Seismograf für die Konjunkturentwicklung.

Negativrekord im April

Im April stürzte der Lkw-Maut-Fahrleistungsindex um 10,9 Prozent im Vergleich zum Vormonat ab und erreichte mit durchschnittlich 97,4-Indexpunkten seinen tiefsten Stand seit der Ersterfassung im Jahr 2005. Parallel dazu sank das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Zeitraum von Januar bis März 2020 gegenüber dem 4. Quartal 2019 um 2,2 Prozent. Das war der stärkste Rückgang seit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 und der zweitstärkste Rückgang seit der deutschen Vereinigung.

Im Mai zeigen die Durchschnittskurven des Lkw-Maut-Fahrleistungsindex zwar ganz leicht wieder nach oben. Dennoch stehen die Werte verglichen mit denen aus der Vorkrisenzeit diametral zueinander. Lag der Wochendurchschnitt im Februar noch konstant bei 114 Punkten, bewegte sich dieser im vergangenen Monat zwischen 98 und 104 Punkte. Transportunternehmen mit deutschem Kennzeichen litten Anfang Mai mit rund neun Prozent weniger Fahrleistung nicht so stark unter der Corona-Pandemie wie ausländische Speditionen, die ein Minus von etwa 17 Prozent zu verzeichnen hatten. Das steht auch im Einklang mit den vom BAG ermittelten mautpflichtigen Grenzpassierungen. Die sank im Vergleich zum Vorjahr um ein Fünftel. Überproportionale Rückgänge zeigten sich an den deutschen Grenzübergängen zu Frankreich, Luxemburg, Belgien, Polen und Tschechien.

Aufwärtstrend im Mai

Für Ende Mai ist eine weitere leichte Erholung erkennbar – das scheinen vor allem die ausländischen Transportunternehmen zu spüren. Denn während der Rückgang der Fahrleistungen für deutsche Lkw bei 6,4 Prozent liegt, fällt er für die ausländischen Lkw wesentlich geringer aus als am Monatsanfang. Er liegt nun bei 8,6 Prozent.

Trotz des allgemeinen Anstiegs gaben die befragten Transportunternehmen an, dass sie weiterhin trotz der schrittweisen Lockerungen keine Verbesserung ihrer Auftragslage verspürten. Sie berichteten von volatilen Auftragseingängen und Stornierungen. „Eine Anpassung der Kostenstrukturen an die volatile Auftragslage sei angesichts aktueller Herausforderungen deutlich erschwert“, heißt es daher im Bericht des BAG zur „Marktbeobachtung Auswirkungen der Coronakrise auf den deutschen Güterverkehrsmarkt“. Viele Unternehmen erwarteten für die nächsten Monate keine wesentliche Verbesserung ihrer Geschäftslage.

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