Weißer E-Lkw von MAN, auf der Straße unterwegs
11.01.2022 | Olaf Thiel

E-Lkw in der City-Logistik – keine Frage der Reichweite

Mit der Umstellung auf E-Lkw im regionalen Lieferverkehr hat sich die Studie „ZeroEmissionDeliveries – Berlin“ befasst. Im Fokus standen Reichweite und Wirtschaftlichkeit.

E-Lkw können zur Senkung der Treibhausgas-Emissionen im Verkehr sowie zur Erreichung der Klimaneutralität Deutschlands beitragen. Doch im Bereich der Nutzfahrzeuge sind sie noch die Ausnahme. Bedenken vor zu geringer Reichweite treiben die Spediteure um. Die Studie gibt nun Aufschlüsse.

Im November 2021 veröffentlichte das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie „ZeroEmissionDeliveries – Berlin“. Im Auftrag des Umweltverbandes Transport & Environment (T&E) hat das ISI, gemeinsam mit dem Handelskonzern REWE und dem Nutzfahrzeughersteller MAN untersucht, unter welchen Bedingungen im regionalen Lieferverkehr auf E-Lkw umgestellt werden kann.

E-Lkw: Emissionsfreie Alternative für Nutzfahrzeuge

Ob Kleintransporter oder 40-Tonner – die Dekarbonisierung des Verkehrs macht auch vor Nutzfahrzeugen nicht halt. Im Pkw-Bereich ist die Antriebswende bereits voll im Gange. Ob Zweisitzer oder SUV: Hybride und Vollstromer sind mittlerweile in so gut wie allen Segmenten vorhanden. Anders bei den schweren Nutzfahrzeugen, wo fossile Kraftstoffe noch immer der dominierende Energieträger sind. Um den Hebel umzulegen, arbeitet die Nutzfahrzeugindustrie bereits unter Hochdruck an emissionsfreien Alternativen. Ob Riesen-Akkus, E-Highways, schnelles Megawattladen oder die Umstellung auf nachhaltige Kraftstoffe – die technologischen Möglichkeiten sind vielfältig. Doch die Zeit drängt: Bis 2025 müssen die Hersteller die CO2-Flottenemissionen ihrer Neufahrzeuge im Vergleich zu 2019 und 2020 durchschnittlich um 15 Prozent senken, bis 2030 sogar um 30 Prozent. Die Einsatzfähigkeit von E-Lkw wird aufgrund begrenzter Reichweiten und hoher Anschaffungskosten in der Logistikbranche weiterhin hitzig debattiert. Dabei gibt es gerade im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit und technische Umsetzbarkeit noch hohe Unsicherheiten und wenig Alltagserfahrungen.

Studie zur Umstellung auf E-Lkw im regionalen Lieferverkehr

Die vorgelegte Studie schafft mehr Klarheit. Ausgangspunkt der Studie waren die REWE-Logistikzentren in Oranienburg sowie im Berliner Stadtteil Alt-Mariendorf. Von beiden Standorten aus werden fast täglich 250 Supermärkte in Berlin und im Umland beliefert.

Die Wissenschaftler werteten die Daten von insgesamt 9.500 realen Touren zu 543 Filialen aus. Im Einsatz waren 224 schwere Diesel-Lkw über 12 Tonnen. Das Ziel: Jede Route prüfen, ob sie mit aktuellen E-Lkw von MAN zu bewältigen gewesen wäre. Dazu wurde für jedes Fahrzeug der individuelle Energiebedarf simuliert. Außerdem wurden die Gesamtnutzungskosten für die Anschaffung bei einer Betriebsdauer von acht Jahren berechnet.

Ergebnis der Studie überrascht

Knapp 60 Prozent der Lkw-Flotte ist elektrifizierbar. Für rund 40 Prozent ist der Umstieg auf E-Lkw mit ökonomischen Vorteilen verbunden. Im Umkehrschluss heißt das: Mit den heute bereits verfügbaren und angekündigten Reichweiten sind Fahrten im städtischen Lieferverkehr vollständig realisierbar und im regionalen Einsatz in nennenswerten Teilen machbar. Zentral ist die Bereitstellung einer Ladeinfrastruktur für das Laden über Nacht. Dennoch sind viele lange Einzeltouren mit der einmaligen Batterieladung nicht zu absolvieren, was den Effekt der Ladeinfrastruktur im Nachtdepot begrenzt.

„Die aktuell verfügbaren Reichweiten von Batterie-Lkw reichen oft heute schon aus, um alle in der Studie analysierten städtischen Lkw-Touren und fast die Hälfte der betrachteten regionalen Touren mit E-Lkw zu schaffen. Mit einer optimierten Routenplanung und zusätzlichem Zwischenladen ist das Potenzial sogar noch größer. Bei schweren Lkw über 26 Tonnen mit sehr langen Tagestouren bleibt die Elektrifizierung – nach Stand des heutigen Fahrzeugangebots – allerdings noch eine Herausforderung“, sagt Dr. Patrick Plötz, der die Machbarkeitsstudie am Fraunhofer ISI geleitet hat.

Eine weitere Erkenntnis: Bereits heute können batteriebetriebene Lkw aus wirtschaftlicher Sicht günstiger als Diesel-Lkw sein. Vorausgesetzt, sie sind möglichst häufig unterwegs. Dabei steigt der Kostenvorteil mit der Fahrleistung. Denn höhere Anschaffungskosten können sich durch geringere Betriebskosten amortisieren. Im städtischen Einsatz reichen die Jahresfahrleistungen – auch unter den aktuellen Förderbedingungen – teilweise nicht für einen Gesamtkostenvorteil aus. Dagegen könnten gerade im Regionalverkehr bereits heute viele Fahrzeuge einen Kostenvorteil erzielen.

Bei der Wirtschaftlichkeit von E-Lkw spielen nicht nur die aktuelle Förderung von 80 Prozent der Mehrkosten für Fahrzeug und Infrastruktur eine wichtige Rolle, sondern auch die steigende CO2-Bepreisung von Dieselkraftstoff bzw. eine entsprechende CO2-abhängige Maut.

Umstellung der Lkw-Flotte kann heute schon sinnvoll sein

Aufgrund der hohen Ersetzbarkeit und möglicher Kostenvorteile sollten Spediteure und Flottenbesitzer bereits heute die Umstellung ihrer Lkw im städtischen und regionalen Lieferverkehr prüfen. Im Rahmen der aktuellen Förderung können sie so Kosten sparen und wertvolle Erfahrungen für die kommende Umstellung auf elektrische Nutzfahrzeuge sammeln. „Eine wichtige Ableitung der Studie für unsere Kunden ist aus meiner Sicht, dass Flottenbetreiber die technisch machbaren Routen zeitnah elektrifizieren können und zusätzlich der Umstieg von Dieselfahrzeugen auf reine Elektrofahrzeuge für sie sogar heute schon in vielen Fällen wirtschaftliche Vorteile mit sich bringt“, erklärt Michael Treier, Sales Truck Alternative Drives bei MAN Truck & Bus, der an der Studie mitgewirkt hat.

Wirft man den Blick in die Zukunft, wird klar, dass in den kommenden Jahren mit verbesserter Batterietechnik viele zusätzliche Anwendungen und Routen mit E-Lkw möglich und zugleich wirtschaftlich sein werden. Bis 2023 haben große Hersteller Modelle mit 250, 400 und 550 kWh Batteriekapazität angekündigt. Zudem sind auch schon Lkw mit bis zu 900 kW h Leistung in der Entwicklung, die perspektivisch insbesondere im Fernverkehr benötigt werden.

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