17.08.2017 | Olaf Thiel

Intelligente Reifen für den Lkw

Werden Reifen für den Lkw sich in der Zukunft selbst reparieren können, den Straßenverhältnissen anpassen und bei Bedarf vom Sommer- zum Winterreifen mutieren? Einblicke in die spannende Welt der Reifenentwicklung.

Seit einigen Jahren kommen RFID-Lösungen im Reifen für den Lkw zum Einsatz: Die darüber erfassten Daten werden genutzt, um die Beanspruchung zu ermitteln und somit Pannen vorzubeugen. Durch den Einsatz von Transpondern sind Online-Plattformen für Spediteure und Fahrer per Tablet oder App in Echtzeit erreichbar. Unter anderem werden so Informationen über Profiltiefe, Füllstand und Materialzustand verfügbar. Doch die Forscher und Ingenieure namhafter Reifenproduzenten arbeiten schon fieberhaft an der nächsten Reifengeneration.

Pneus aus dem 3D-Drucker

Die Herstellung eines Reifens ist ein komplexer Prozess,  der von der Gummimischung über die Rohlingsproduktion bis hin zur Vulkanisation zahlreiche Fertigungsschritte umfasst. Der französische Anbieter Michelin plant mit dem Forschungsreifen „Concept Vision“ nun eine Revolution: Der Reifen der Zukunft soll ganz ohne Luft auskommen. Dazu verfügt das Innere der Pneus über eine wabenartige Struktur. Die Verästelungen rücken in der Nähe der Radnaben enger zusammen und sollen eine hohe Steifigkeit erzeugen. In Richtung Lauffläche werden die Abstände größer und das Material nachgiebiger. So bietet der Reifen einen besseren Federungskomfort, beschreibt das Unternehmen den Konzeptreifen. Das würde die luftige Reifenfüllung überflüssig machen. Dabei waren es gerade die Michelin-Gebrüder, die Ende des 19. Jahrhunderts den ersten mit Luft befüllten Autoreifen der Öffentlichkeit vorstellten.

Der innovative Reifen „Concept Vision“ entsteht per 3D-Druck, das spart Material, Gewicht und Kosten. Mit Sensoren bestückt wäre er auch noch smart und könnte beispielsweise den Zustand der Straße oder des Reifenprofils genau analysieren. Ist der Pneu abgefahren, würde das fehlende Stück Gummi dank der Drucktechnik einfach neu produziert und aufgetragen. Dafür möchte das Unternehmen ein Netz aus Servicestationen errichten. Hier soll dann auch das Upgrade vom Sommer- zum Winterreifen erfolgen. Bevor es also über den Brenner geht, wird vorher noch die Lauffläche an winterliche Straßenbedingungen und alpines Klima angepasst.

Die futuristische Reifenstudie von Michelin kommt ohne Luft aus. Foto: Michelin

Reifen für den Lkw aus Löwenzahn

Die Entsorgung von Altreifen ist nicht gerade umweltfreundlich: Ausrangierte Pneus werden geschreddert und deponiert oder verbrannt. Nur ein Bruchteil wird wiederverwendet. Der Tausendsassa von Michelin soll daher aus biologisch abbaubaren Materialien entstehen. Auch Konkurrent Continental forscht am nachhaltigen Reifen für den Lkw. Denn für Anbauflächen von herkömmlichem Naturkautschuk müssen besonders in Asien immer größere Regenwaldflächen weichen. Gemeinsam mit Forschern des Fraunhofer Instituts für Molekularbiologie aus Aachen arbeiten die Ingenieure am Einsatz von Löwenzahn, aus dem Latex – Kautschuk in flüssiger Form – gewonnen wird. Der bevorzugte russische Löwenzahn kann selbst auf kargen Böden kultiviert werden und würde somit nicht in Konkurrenz mit anderen Agrarflächen treten. Ein weiterer Vorteil: Kann der Kautschukbaum erst nach vielen Jahren geerntet werden, wächst Löwenzahn von Jahr zu Jahr. Aber am wichtigsten ist, dass die Forschungsreifen im Vergleich zu Reifen aus herkömmlichem Naturkautschuk ein vergleichbares Eigenschaftsprofil aufweisen und auch die hohen Anforderungen des Güterverkehrs erfüllen würden.

Rad unter Strom

Nachhaltig ist auch der Konzeptreifen „BH03“ von Goodyear, der Strom liefern soll. Die Prototypen sind dazu mit piezo- und thermoelektrischen Generatoren unter der Lauffläche ausgerüstet. Letztere wandeln Wärme in Strom um, beispielsweise wenn sich der Straßenasphalt aufgrund von Sonnenstrahlung erwärmt. Aber auch direkte Infrarotstrahlen würde absorbiert. Und auch während der Fahrt erzeugt der Reifen Wärme. Dabei übt der Straßenbelag gleichzeitig Druck auf die Reifen aus. Durch Piezogeneratoren wird die mechanische Belastung dann in Energie umgewandelt. Die physischen Grundlagen für den piezoelektrischen Effekt und die sogenannte Adaptronik legten die Curie-Brüder bereits 1880 mit der Entdeckung von Piezokristallen, die den Plattenspieler erst zum Musizieren brachten. So könnte ein elektrisch betriebener Lkw den erzeugten Strom direkt in seine Bordbatterien fließen lassen.

Reifen für autonomes Fahren

Autonomes Fahren ist derzeit in aller Munde. Aber wie sieht dann eigentlich die Bereifung aus? Die künftige Fahrzeuggeneration stellt völlig andere Anforderungen an die Pkw und Lkw von heute. Goodyear gewährt uns mit seinem Kugelreifen „Eagle 360“ einen Blick in eine aus heutiger Sicht doch eher schwer vorstellbare Zukunft. Mit dem Kugelreifen könnten sich autonome Fahrzeuge flexibel durch den Verkehr schlängeln – vorwärts, seitwärts, ja sogar diagonal. Bewerkstelligen soll dies eine Magnetschwebetechnik, die ohne mechanische Verbindung zum Fahrzeug auskäme, sagt Goodyear. Das Reifenprofil aus elastischen Polymeren würde per 3D-Druck erzeugt und imitiert die bionischen Strukturen der menschlichen Haut. Ein schaumartiges Material darunter würde es dem Reifen ermöglichen, sich flexibel Fahrbahnoberflächen und Witterungsbedingungen anzupassen. Sensorennetze könnten bei nasser oder rutschiger Fahrbahn dafür sorgen, dass die Geschwindigkeit automatisch angepasst wird.

Zugleich würden die Daten auch an andere Fahrzeuge bzw. die Verkehrsinfrastruktur weitergegeben werden und umgekehrt. Selbst lernende Algorithmen verknüpfen die Informationen miteinander und verarbeiten sie weiter. Dank künstlicher Intelligenz kann der Reifen somit sein Verhalten fortlaufend optimieren. Mithilfe der Sensorik lassen sich zudem Schäden lokalisieren und das Profil entsprechend verändern. Dazu bewegen sich Materialien in Richtung der betroffenen Region und schließen beschädigte Oberflächen. Ansonsten hat der Kugelreifen einen festen Körper und ist nicht mit Luft gefüllt.

Ein wenig beruhigend ist es doch, dass es bis zur Serienreife noch eine gute Weile dauern wird. Die Reifen für den Lkw bleiben also noch die altbekannten. Und so gehören Reifendruckkontrolle und der Wechsel von Pneus weiter zum Alltag des Lkw-Fahrers.

In unserer zweiten Ausgabe des „MaB – Magazins“ berichteten wir Anfang Juli live vom diesjährigen Truck Grand Prix. Auch hier hat sich die Redaktion bereits mit dem Thema Reifen für den Lkw beschäftigt und Continental einen Besuch auf dem Messestand abgestattet. Welche Innovationen der Reifenhersteller dabei hatte, können Sie sich in unserer Sendung noch einmal anschauen.

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